Ich hatte das Bedürfnis, die Natur zu spüren. Deswegen setzte ich mich auf den Boden in der linken Balkonecke, dort, wo normalerweise die Katzen schliefen. Einen kleinen Teppich und zwei Decken hatte ich dort hingelegt, um ihnen ein bequemes Bett zu richten. Nun saß ich selbst dort und sah hinauf zu den Tannen. Es war bereits nach 22 Uhr und fast schon dunkel. Noch ein paar letzte Lichter drangen durch die grauen Wolken. Es war Juni und angenehm kühl.
Irgendwann schloss ich die Augen und hörte der Welt zu. Der Wind in den Bäumen… ein paar weit entfernte Menschenstimmen… die leisen Bewegungen meiner Katzen um mich herum… Dort, mitten in der Großstadt, zwischen den vielen Reihenhäusern und Straßen, hatte ich ein Stückchen Frieden gefunden. Ein Stück Natur, das nur für mich gemacht wurde.
Atmen.
Dem Atmen zu lauschen ist eine seltsame Sache. Man hört nämlich nicht viel. Eher sollte man sagen, das Atmen spüren. Ich saß also da und spürte mein Atmen. Immer und immer wieder schweiften meine Gedanken ab. Sie waren unzähmbar. Wie ein wildes Krokodil wanden sie sich hin und her, rollten herum, bissen zu. Aber davon ließ ich mich nicht beirren. Zu viel wusste ich bereits über Gedanken und ihre Beschaffenheit, ihre Nichtigkeit, als dass ich diesem Tanz zu viel Bedeutsamkeit beimaß. Und dann geschah ein kleines Wunder.
Es fing an zu regnen. Selten hatte ich den Beginn eines Regenschauers so bewusst wahrgenommen wie in diesem Moment. Alles war leise und auf einmal hörte ich das Wasser vom Himmel tropfen. Erst ganz leise, dann immer lauter, bis nur ein stetes, angenehmes Rauschen übrig blieb.
Und ein Lächeln.
Als ich irgendwann die Augen wieder öffnete, strahlte mich der Mond an. Zwischen den Wolken sagte er kurz Hallo.
Ich flüsterte. Nacht, willst du mich um jeden Preis verzaubern?
Und ja, das wollte die Nacht. Sie wollte mich locken, in ihren Bann ziehen und für immer verzaubern. Auf dass ich die Schönheit, Macht und Ruhe der Natur nie wieder vergessen würde. Auf dass ich ein anderes Leben beginnen würde, abseits der Hast, der Ruhelosigkeit und Bedeutungslosigkeit der Welt.
Sie wollte mir den Weg nach Hause zeigen. Und liebe Nacht, dein Vorhaben ist gelungen.
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