Ich habe hier schon länger nicht mehr einfach so drauf los geschrieben und meine Gedanken geteilt. Darum habe ich mich jetzt mit einer Tasse Chai Latte und meinem Laptop auf den Balkon gesetzt, um in Ruhe zu schreiben.
Meine Therapie hat jetzt richtig begonnen und ich glaube, dass ich das jetzt endlich spüre. Mit „richtig“ meine ich, dass ich jetzt regelmäßig (zwei mal die Woche) hingehe und die Therapiestunden im Liegen stattfinden. Das ist wirklich etwas völlig anderes als im Sitzen. Am Anfang ist es unglaublich seltsam, auf dem Sofa (so eine Art Sofa) zu liegen und gegen das Fenster zu starren, während man einer Person, die man nicht sieht, alles Erdenkliche erzählt.
Aber dann, wenn man sich an die Seltsamkeit gewöhnt hat, ist es das Beste. Man ist so richtig „bei sich“, falls ihr versteht was ich meine. Man taucht in die eigene Gefühlswelt ein, in die Vergangenheit, in alles was war. So kommen Gefühle hoch, die man normalerweise erfolgreich unterdrückt.
Als ich die Psychoanalyse noch in Stuttgart gemacht habe (August 2014 – September 2015), habe ich so viel geweint wie in meinem ganzen Leben nicht. Einfach alles kam hoch, auch die Gefühle aus der Kindheit und der Schmerz aus meiner Jugend. Aber nicht nur Negatives kam hoch, auch eine wunderschöne Erinnerung. Nämlich die, bedingungslose Liebe und Schutz von meinem Opa gespürt zu haben. Meine Therapeutin sagte damals, ich solle diese Erinnerung ganz festhalten und spüren, wie wertvoll ich war und noch immer bin.
Leider spüre ich diesen Wert meistens nicht… und da kommen wir auf mein aktuellstes Thema zu sprechen… Wut.
Eigentlich will ich das gar nicht schreiben, weil andere involviert sind und ich doch niemanden schlecht machen will. Aber ich brauche das… Ich muss darüber schreiben… Das ist für mich ein Teil der Verarbeitung… Gut, ich könnte es schreiben und dann nicht hochladen. Ich werde mal sehen was am Ende dabei rauskommt.
Es geht darum: Ich bin noch immer – tief innen drin – so unbeschreiblich wütend auf meine Eltern. Dass sie zwei Kinder gezeugt haben, um sie dann an die Großeltern abzuschieben, um selbst von morgens bis abends arbeiten zu gehen. Wie kann eine Mutter mit einem 2 1/2-jährigen Kind sechs Tage die Woche (auch Sonntags) bis spät abends arbeiten gehen?
Sie haben mich nicht geweckt, sie haben mir kein Frühstück zubereitet, geschweige denn ein Pausenbrot, sie waren nicht da wenn ich von der Schule nach Hause kam und wenn sie dann irgendwann mal von der Arbeit kamen, waren sie entweder müde oder es musste irgendetwas erledigt werden.
Vielleicht denkt man sich „wenigstens warst du nicht alleine und hattest noch einen Bruder!“.
-.-
Von wegen. Mein Bruder war ein Arschloch. Er hat mich nur schlecht behandelt, mich beleidigt und runtergemacht.
Und ja, inzwischen weiß ich, dass mein Bruder nicht wirklich was dafür kann. Er hatte noch viel mehr Pech als ich. Und meine Eltern konnten auch nichts dafür. Sie wussten gar nicht wie man richtig Liebe schenkt. Und dass kleine Kinder die Eltern mehr brauchen als alles andere. Außerdem waren sie arm, auf sich alleine gestellt und mussten mit ständiger Existenzangst (und meine Mutter mit Depressionen) kämpfen. Wenn ich mir jetzt vorstelle, ich wäre in einem neuen Land, mit zwei Kindern, Depressionen, keinem Geld UND hätte niemanden, der mich im Notfall finanziell unterstützen würde.. Ich würde auch durchdrehen.
Aber hilft mir das alles weiter?!?!? Die Wut ist noch immer da!!!! Wie soll ich diese Wut loswerden?!?! Wenn ich die Gedanken und Gefühle zulasse, habe ich das Gefühl, jemanden schlagen zu wollen, irgendwas kaputt machen zu wollen und die Welt anzuschreien. Ich hatte eine scheiss Familie!! EINE SCHEISS FAMILIE!!!!!!!! Am liebsten will ich sie nie wieder sehen!!!!!!
Mein inneres Kind ist so verletzt, so enttäuscht.. und fühlt sich einfach unglaublich wertlos. Wie soll es auch anders? Es wird in die Welt gesetzt und seine eigenen Eltern kümmern sich nicht um es. Und der eigene Bruder, der eigentlich Verbündete, der seiner kleinen Schwester helfen sollte und für sie da sein sollte, fällt ihr in den Rücken und behandelt sie wie Dreck.
Ich will jetzt nicht mehr schreiben.
Ich muss mit meiner Therapeutin besprechen, was ich mit dieser Wut und Enttäuschung anfangen soll. Ob sie verschwinden wird, wenn ich sie zulasse. Oder ob ich sie noch auf eine andere Weise rauslassen muss, z.B. indem ich meiner Familie meine wahren Gefühle zeige. Das habe ich nämlich noch nie.
Ich hoffe so sehr, dass ich all die Gefühle verarbeiten und in etwas Positives umwandeln kann. Und dass dann das Verhältnis zu meiner Familie besser wird.
Nachtrag: Dieser Text ist eigentlich zu persönlich, um ihn zu posten… Da es wie gesagt um andere geht. Ich weiß nicht, ich will ihn euch trotzdem zeigen, aber vielleicht sollte ich ihn nach einer Weile löschen…
love // Cat
Pilli
Liebe Ingrid,
dein Text geht mir nahe, denn ich habe Ähnliches erlebt/ erlebe es noch immer. Dabei gab es in meiner Familie andere Schwierigkeiten, doch dieses Gefühl, dass innere wütende und verletzte Kind alltäglich bei sich zu haben, kenne ich gut. Ich finde es verdammt schwer, auf dieser Basis mit meiner Familie zu kommunizieren. Nach außen haben wir ein gutes Verhältnis. Aber auch ich „komme einfach nicht darüber hinweg“. Ich wohne mittlerweile – so wie du – weit entfernt von meiner Familie und diese Distanz tut mir gut. Allerdings habe ich einen acht Monate alten Sohn, dem ich gerne ein gutes Verhältnis zu seinen Großeltern ermöglichen möchte. Denn ich weiß, dass schlechte Eltern immer noch zu fantastischen Großeltern werden können. Es ist ein schmaler Grad…. Du siehst: Du bist nicht allein in deiner Wut. Und mir hat es sehr gut getan, mal zu lesen, dass es anderen auch so geht. Du hast Mut! Liebe Grüße! Pilli (Fuchs)
Ingrid Cat
wow dass du das genau so kennst wie ich… <3
Ja wirklich, die Kommunikation fällt mir auch sooo schwer.. Und die Distanz tut mir auch gut, aber immer wieder werde ich richtig traurig, weil ich merke wie komisch unser Verhältnis ist und dass ich den Kontakt total vermeide.. Dann träume ich auch immer wieder von meiner Familie..
Und dass mit deinem Sohn und Großeltern verstehe ich sooo gut! Genau darüber denke ich auch oft nach, wie das werden soll, wenn ich erstmal ein Kind habe. Vielleicht ist es wirklich wichtig für uns, alles zu verarbeiten (mit einer Therapie?) und dann alles hinter uns zu lassen. Wenn das geht? Theoretisch ist dafür meine Therapie da, ob es aber funktioniert ist eine andere Frage. Machst du denn eine Therapie?
Danke für deinen Kommentar, auch mir tut es sehr gut zu lesen, dass andere das mit der Wut kennen <3 <3 <3
Victoria
Liebe Ingrid,
und wieder einmal kann ich deine Gefühle SO nachvollziehen. Auch bei mir hat die Therapie nach ca. 2 Jahren richtig angeschlagen und eine geballte Ladung WUT auf meine Eltern kam hoch. Endlich weiß ich warum ich so ängstlich, depressiv und traurig bin … alles unterdrückte Wut und das Resultat einer besch*** Kindheit. Meiner Mutter habe ich vor kurzem einen Brief geschrieben in der ich ihr meine Wut mitteilte. Meinen Vater wird meine Wut leider nie erreichen, denn der hat sich vor 7 Jahren das Leben genommen.
Hast du momentan auch das Gefühl so hilflos mit dieser Wut zu sein?! Ich würde sie so gerne rauslassen, habe aber Angst davor bzw. kann ich das meiner Mutter gegenüber einfach nicht. Ich habe so das Gefühl, dass einem die Wut auffrisst wenn man sie nicht an die betreffende Person ablassen kann. Ich denke, dass das der Grund für meinen psychischen Zustand ist, mit dem ich ab und zu so zu kämpfen habe.
Danke für deinen ehrlichen und sehr persönlichen Text. Ich bewundere einerseits deine Ehrlichkeit und andererseits tut es jedes mal so gut zu sehen, dass andere Menschen ähnliche Probleme haben. Das gibt einem das Gefühl nicht allein zu sein.
Alles Liebe,
Victoria
Ingrid Cat
Hat es irgendwas gebracht, deiner Mutter diesen Brief zu schreiben? Ich überlege nämlich auch, einen zu schreiben..
Das mit der Hilflosigkeit, GENAUU so geht es mir auch 🙁 Ich weiß einfach nicht wohin mit der Wut, was ich tun soll, denn wie bei dir kann ich meiner Mutter meine wahren Gefühle nicht zeigen… Einmal hab ich es versucht und sie wurde soo traurig, dass ich sie dann beruhigt habe und gesagt habe, sie kann doch nichts dafür usw. Obwohl ich eigentlich schreien will. Dieses Thema habe ich erst letztens in der Therapie angesprochen und wir sind noch nicht so weit gekommen. Ich weiß nicht ob meine Therapeutin mir raten wird, die Wut rauszulassen, ich bin aber sehr gespannt wie es weitergeht… Und ich werde dann davon berichten, vielleicht lerne ich ja eine Lösung kennen, die ich an dich weitergeben kann…
Und deine Therapie hat nicht dazu geführt, dass die Wut weggegangen ist? Was für eine Art Therapie hast du denn gemacht?
Und ja, bei mir ist diese ganze Sache auch Auslöser für viele viele Probleme.
Vielen vielen Dank für deinen Kommentar und besondres die letzten paar Sätze <3 Wenn ich sowas lese, dann weiß ich, es ist richtig mich so zu öffnen <3 <3
Ingrid Cat
Und das mit deinem Vater tut mir wirklich leid 🙁 Das hört sich sehr schlimm an und ich kann mir ansatzweise vorstellen was du durchmachen musstest 🙁
Laura
Liebe Ingrid,
vor ein paar Monaten habe ich das Buch Lass die Kindheit hinter dir – das Leben endlich selbst gestalten von Ursula Nuber gelesen. Vielleicht hilft dir dieses Buch auch oder du kannst deine Therapeutin mal fragen, ob sie es kennt. Ich habe es auch in der Therapie bekommen.
Liebe Grüße
Laura
Ingrid Cat
Vielen Dank für den Tipp! Ich finde solche Bücher gut, weil oft sehr hilfreiche Denkanstöße oder Tipps enthalten sind. Es ist jetzt auf meiner Leseliste 🙂
Liebe Grüße zurück <3