Ich will über meinen Vater lästern. Irgendwann mal habe ich hier geschrieben, dass ich meine Eltern so akzeptieren muss, wie sie sind. Dass sie sich nicht verändern werden. Dass sie mich lieben, auch wenn sie so sind wie sie sind. Bei unserem letzten Besuch vor zwei Wochen wurde meine bisher aufgebaute Akzeptanz auf die Probe gestellt. Denn mein Vater war wieder unmöglich.
Er meinte, ich solle mit YouTube und dem Internet aufhören, denn das würde doch nichts bringen und nur meine Zeit verschwenden. Das Argument, dass man etwas macht, weil man es liebt und es Spaß macht, zählt für ihn nicht. Und zählte noch nie. Schon früher meinte er, wieso ich denn Volleyball spielen würde, das würde doch nichts bringen. ……..
Ja ich finde auch: Hört alle damit auf, euren Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen!! Denn für was soll man denn Spaß haben? Das Leben ist kein Ponyhof!!!!!!!!!!!!!! Versteht ihr das nicht? Was sucht ihr überhaupt hier und lest diesen Text, geht und arbeitet! Verdient Geld!! Oder wollt ihr etwa arm sein wenn ihr in Rente seid?!
o.
m.
g.
Mein Vater und ich könnten einfach nicht unterschiedlicher sein.
Ich bin eine Künstlerseele, ein Freigeist, ich lebe um zu träumen und meinen Leidenschaften nachzugehen. Mein Vater ist ein Pragmat, das Gegenteil von einem Träumer und er lebt, um genug Geld zu haben. Bei ihm geht es nur um Geld, um Sicherheit. Darum, sein komplettes Leben bis zum Tod abzusichern. Es gibt kein „im Hier und Jetzt leben“ und „das Leben genießen“.
Und das wäre ja auch vollkommen okay. Ich könnte ihn so nehmen wie er ist. Aber er, er kann das nicht. Er muss mich so hinbiegen, wie es IHM passt. Er muss mich verändern, mir seine Ansichten und Lebensziele aufdrängen. Und DAS kann ich NICHT akzeptieren.
Soll ich etwa akzeptieren, dass er mich nicht akzeptiert?
Wirklich, es ist kein Wunder, dass ich solche Selbstwertprobleme habe und mich selbst nicht akzeptieren kann, denn ich wurde noch nie akzeptiert. Ich bin mit einem Menschen aufgewachsen, der mich wie Knete formen wollte, der mich so zurechtbiegen wollte, wie er es gern hat. Er wollte aus einem Apfel eine Kirsche machen. Und das Lächerliche ist: Er hätte es fast geschafft.
Oh mann…
Ich weiß nicht mehr weiter, was ihn angeht. Meine Therapeutin meinte heute, dass er es ja eigentlich nur gut meint. Dass er will, dass ich nicht arm bin bzw. sein werde. Und dass ich es leicht habe. Aber diese Gedanken bringen mir nichts. Es macht mich einfach nur wütend, denn er gibt mir das Gefühl, alles falsch zu machen und ein Versager zu sein. Und es ist unglaublich anstrengend, sich gegen ihn zu wehren und seine Diskussionen auszuhalten.
Weil er kein einziges Argument annimmt.
„Ja Papa, ich kann aber nicht einfach einen Beamtenjob im Rathaus machen, dafür braucht man eine Ausbildung!“
– „Neeein, du hast doch studiert, du kannst das auch machen.“
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„Selbst wenn ich es könnte, ich will nicht so einen Job machen, das wäre mir viel zu langweilig und eintönig!“
– „Langweilig langweilig, das ist doch gut wenn du einen einfachen Job hast! Du arbeitest bis 15 Uhr, gehst nach Hause und bist fertig! Ich verstehe dich nicht!“
„Ich will einen Hund haben.“
– „Was ein Hund! Was willst du mit einem Hund! Das ist nur Arbeit, Ingrid, hol dir keinen Hund!“
„Ja mir egal ob es Arbeit ist, ein Kind ist auch Arbeit und trotzdem willst du, dass ich ein Kind habe. Über die Katzen hast du auch gesagt, sie sind nur Arbeit und jetzt liebe ich sie über alles.“
– „Ja aber ein Hund, mit dem musst du jeden Tag rausgehen und der kostet soviel Geld, wenn er krank ist und wohin willst du den tun wenn du in den Urlaub gehst!“
„Wir träumen ein bisschen davon, nach Schweden zu ziehen.“
– „Was Schweden, was willst du in Schweden?!“
„Ja uns gefällt es da voll, die Natur ist wuuunderschön… und da gibt es alles was ich liebe, im Winter viel Schnee und im Sommer ist es nicht zu heiss“
– „Da gibt es SO viel Schnee, den musst du immer schippen, weisst du das?! Weisst du wieviel Arbeit das ist? Willst du das machen? Kommt lieber hier in die Nähe, hier gibt es auch schöne Natur!“
„Ja hier gibt es schöne Natur, aber dort kostet ein Häuschen mitten in den Wäldern, direkt am See nur 40 000€!! Bis wir uns hier ein Haus leisten können, sind wir tot!“
– „Wartet lieber und spart Geld und kauft euch hier ein Haus!“
„Ich schreibe jetzt einen Roman über […].“
-„Schreib lieber ein Kinderbuch Ingrid, so eine Geschichte will doch niemand lesen.“
Und wenn ihr jetzt denkt „lass dich auf solche Diskussionen nicht mehr ein“:
Er findet an jedem verdammten Thema irgendetwas auszusetzen, etwas, das ich anders machen soll und das er kritisieren kann! Dann dürfte ich überhaupt nicht mehr mit ihm reden! Was ehrlich gesagt kein Problem für mich wäre. Aber ist das die Lösung?
Vielleicht ist das wirklich die einzige Lösung. Denn ich weiß nicht, ob ich jemals so stark werden kann, dass mich sein Gelaber nicht mehr verletzt, anstrengt und zu Tode nervt.
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Hat es jemand von euch geschafft, über sowas drüber zu stehen? Und dass es euch nicht mehr total aufwühlt? Habt ihr irgendeinen Tipp für mich? Findet ihr, ich muss stärker werden oder findet ihr, er muss sich ändern? Denkt ihr, sowas kann ein Mensch ändern?
Ich hab euch sehr lieb und drücke euch ?
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Valentina
Liebe Ingrid,
genau dasselbe habe ich mit meinen Eltern / Familie durch. Ich nenne es das Balkan-Syndrom. Irgendwann habe ich akzeptiert dass ich das was ich brauche nicht von meinen Eltern bekommen werde. Ich muss mein eigenes Leben führen, so wie ich es für richtig halte, denn am Ende ist es nicht ihr Leben sondern meines welches ich verschwende indem ich das tue was meine Eltern gern hätten.
Ich tue auch das was mir Spaß bringt und es macht mich glücklich. Aber es war ein langer schmerzhafter Prozess voller Selbstzweifel, Selbstmitleid, schlechtem Gewissen und Verletztheit. Ich kann Dich nur ermutigen Deinen eigenen Weg zu gehen, voller Zuversicht und Selbstliebe.
Das Du liebst was Du tust sehr ich in Deinen tollen Videos, Fotos und Texten. Und dass es Dich glücklich macht sehe ich auch. Mit jedem Schritt den Du in Freude und Liebe gehst, kommst Du einen Schritt näher an Dich Selbst.
Kuschele mit Deinen Katzen und knuddele Deinen Hund, schreibe, male und zeichne!! Verschenke Deine Liebe an Deinen Freund und tanze so oft Du kannst. Du bist wunderbar!
Und den Satz “sie meinen es ja nur gut..” ist aus therapeutischer Sicht vollkommen daneben. Gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen dass sich Menschen sehr selten ändern. Vor allem ändern sie sich nicht wenn sie sich im Recht sehen. Warte nicht darauf bis Dein Vater sich evtl ändert und Dir das gibt was Du als Tochter brauchst. Finde heraus was Du wirklich brauchst und arbeite daran es zu erreichen. Du brauchst keine Ermächtigung von Deiner Familie dafür. Du brauchst keine Erlaubnis weil Du, so wie Du bist, einzigartig und wundervoll bist.
Lass Dich umarmen und geh weiter beständig Deinen eigenen Weg.
Herzlich
Valentina
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Franziska
Das ist ein richtig schöner Kommentar <3 Wollte ich nur kurz loswerden (:
Cora Preßmann
Ich hab da leider keinen Tipp für dich. Mir geht es mit meinem Vater genauso und es macht mich genauso fertig. Neulich hatten wir einen Streit, weil ich es gewagt habe zu sagen, dass ich mir gut vorstellen könnte, nur teilzeit zu arbeiten und so zwar weniger Geld aber mehr Zeit für mich zu haben…
Meine Therapeutin hat zu mir gesagt, dass ich wahrscheinlich akzeptieren müsse, dass er sich nicht mehr ändert, dass das auch ein Generationending sei. Aber auch, dass ich dafür einstehen solle, über mein Leben selbst entscheiden zu können. Oder eben mit ihm über solche Dinge nicht mehr zu sprechen, wenn ich denke, dass das für mich nur zu negativen Gefühlen führt.
Melody
Boa, ich bin gerade so wütend!!!! Ich kenne die Gefühle, die du da durchmachst GANZ GENAU!!! Von meiner Familie, von der Familie meines Partners und ein bisschen auch von meinem Partner selbst. Es ist soooo anstrengend! Manchmal glaube ich, meine ganze Energie fließt nur da rein, DAS auszuhalten… Ich frage mich wirklich, was die Leute sich immer einbilden. Ganz egal ob Familie oder nicht! Niemand, wirklich NIEMAND hat das Recht über andere zu urteilen und zu beurteilen, was derjenige mit seinem Leben anfängt.
So gesehen ist es echt kein Wunder, dass wir (ich sag mal wir, weil ich glaube, dass du da ganz ähnlich bist) bei jedem Windstoß umgeblasen werden und erstmal den Kopf in den Sand stecken.
„Was ist, wenn du in Rente gehst und kein Geld hast?“ – Ja, dann werde ich wahrscheinlich verrecken, elendig verhungern und von meinen Hunden gefressen werden. Ist immer noch besser, als wie der Rest zu sein. Sehe ich jedenfalls so. Es gibt nichts, was mir mehr Angst einflößt, als in einem Hamsterrad zu sitzen und genauso unglücklich zu sein, wie viel zu viele es ohnehin schon sind.
Hoffentlich wirke ich jetzt nicht zu aggressiv, aber ich hatte solche Diskussionen schon zu oft, vor allem in der letzten Zeit, wo es darum ging meinen Blog neu zu gestalten.
„Du kannst doch nichts privates da rein schreiben! Du bekommst nie wieder einen Job! Das Internet vergisst nie! Was ist, wenn du mal Kinder hast! Die werden sich schämen!“ Bla bla bla bla bla….
Echt Ingrid, tut mir so leid, dass du sowas auch erleben musst. Aber bitte, auch wenn es total schwer ist, glaub weiterhin an dich, deine Träume und Ziele. Wir werden vielleicht nicht die reichsten auf dem Friedhof sein, aber vielleicht die glücklichsten 😉 Und das ist es doch, was wirklich zählt oder nicht?
Ich drück dich!
Undine Almani
Hm. Vielleicht auch eher ein Problem dessen, WIE das kommuniziert wird und nicht so sehr WAS. Die Sorgen deines Vaters sind aus seiner Sicht bestimmt super toll plausibel. Das „Kind“ macht YouTube und damit verdient man doch kein Geld. Geld braucht man, wenn man älter ist. Ich verwende aus genau diesem Grund mehr Zeit auf meine Arbeit als auf YouTube. Ich finde das auch oft schade, denn mir fehlt das dann auch. Es ist kreativ, lustig und ein bisschen blöd. Sehe ich sehr ähnlich wie du. Und ja, von Brot und Geld wird man auch nicht zufriedener. Aber von Kunst und Liebe allein auch nicht. Das merkt man dann spätestens, wenn man den jährlichen Brief von der Rentenversicherung bekommt. Und das Gewicht, das fehlendes Geld einem aufdrücken kann, möchte ich nicht haben. Als Studentin habe ich viel gespart, und irgendwann war diese Zeit endlich vorbei und es macht halt alles mehr Spaß und man hat weniger Ängste. Diese Sicherheit, die dein Vater sich wünscht, kann auch etwas Gutes sein. Und dass es ein Widerspruch ist zu dem, wie du leben willst, glaube ich nicht unbedingt (Wünschst du dir mit einem Häuschen in Schweden nicht etwas ganz Analoges?). Im Gegenteil, es wäre vmtl. wunderbar, wenn du Sicherheit, ein gutes Einkommen und deine Träume verbinden könntest (egal wo), statt sie in Konkurrenz zu erleben, weil Zeit oder Möglichkeiten vielleicht gerade nicht passen. Trotzdem verstehe ich natürlich, wie sehr das nervt. Es ist auch repetitiv und was wird davon schon besser? Du könntest deinen Vater ja mal fragen, was er sich davon erhofft, dass er dir diese Dinge sagt. Ob er wirklich glaubt, dass du dich änderst. Oder ihm klar machen, dass du selbst vielleicht auch Zweifel hast, wie jeder halbwegs reflektierte Mensch, und diese Vorhaltungen alles tun außer groß zu helfen… 😉
Zu deiner Frage: Eltern hinterfragen immer alles. Nur die coolsten können es ertragen, ihren Kindern beim „Fehler machen“ (wenn man so will) zuzusehen. Ich übe das gerade selbst, ja! Und das ist sooo hart. Das ist so ne Art „bescheuerte Zuwendung“. Die können nicht anders. Ich lenke dann immer schnell vom Thema ab und rede über irgendwas aus dem Alltag der jeweiligen Person. Irgendwen anderes, über den derjenige sich gern aufregen will, außer mir. Und danach von was anfangen, was der Mensch wiederum gut findet, und dann Abendbrot und Heimfahrt. „Nicken, ja sagen, weiter machen, was man sowieso vorhatte.“
Karla Schnikow
Liebe Ingrid,
Es ist dein Leben, und nur du selbst lebst es. Das ist etwas, das Eltern irgendwann verstehen lernen müssen (meine tun sich da manchmal auch etwas schwer. Teilweise hat das Jahre gedauert).
Vielleicht sagst du ihm mal, dass er mit seinem Verhalten dafür sorgt, dass du darüber nachdenkst, den Kontakt abzubrechen. Und wie sehr er dir mit seinem Verhalten schadet. Direkte Konfrontation kann in solchen Fällen manchmal gut sein, weil es Menschen oft nicht auffällt, was sie mit ihrem Verhalten anrichten. Besonders wenn sie damit gute Intentionen haben. Im Gegensatz zu deinem Vater erfüllt / macht dich nicht die Sicherheit, sondern die Freiheit glücklich. Und wenn dich etwas glücklich macht, nimmst du dafür gerne harte Arbeit in Kauf. Und wenn ich mich recht erinnern kann, bist du glaube ich mittlerweile unabhängig vom Jobcenter. Mit Dingen, die du ganz anders machst, als dein Vater es machen würde.
Franziska
Liebe Ingrid,
ich kenne diese Diskussionen über einen sicheren Lebensstandard leider auch viel zu gut. Es ist soweit, dass ich meiner Familie nicht mehr von meinen Plänen erzähle weil ich ihre Zweifel nicht hören möchte. Und da es noch viel mehr Leuten so geht glaube ich, dass es definitiv etwas mit dem Generationsunterschied zu tun hat- ich bilde mir immer ein, dass bei den älteren Leuten noch der Krieg und die daraus resultierende Notwendigkeit/Knappheit/Arbeitsmoral übrig geblieben ist. Unsere Generation steht viel mehr für Selbstverwirklichung. Aber das weißt du sicher alles und es hilft dir nicht 😀 Deshalb schicke ich dir nur eine Umarmung und sage dir, dass ich dich sehr gut verstehe.
Liebe Grüße, Franzi