Es ist witzig, wie sich ein paar scheinbar unwichtige Gedanken in der Therapie immer wieder in etwas Grundlegendes, mein ganzes Leben umgreifendes Thema verwandeln können. Letztens fing ich wieder an mit den Worten „hmmm… ist eigentlich voll die Kleinigkeit…“ und dabei kam folgendes Problem zum Vorschein:
Das Problem:
Wenn J und ich etwas unternehmen, kann ich die Stille zwischen uns nicht ertragen. Ohne genau zu wissen wieso, entwickelt sich ein unruhiges, unzufriedenes Gefühl in mir und bald darauf ist der Nachmittag für mich gelaufen.
Die Hintergründe
Ich interpretiere die Stille als ein Zeichen, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben und nicht zusammenpassen.
Ich habe dieses Bild eines glücklichen, perfekt zusammenpassenden Paars, das die ganze Zeit redet und redet und lacht und redet.
Jenny und David Mustard sind das perfekte Beispiel. Sie kommen mir vor, als wären sie wie füreinander geschaffen. Und Jenny hat mal gesagt, dass sie sooo viel reden, ihnen nie der Gesprächsstoff ausgeht und sie einfach wie beste Freunde sind blaablabla
Genau dieses Bild ist mein Idealbild einer Beziehung.
Und wenn wir nicht reden reden reden, dann scheint das ein Zeichen zu sein, dass wir nicht zusammenpassen!
Dabei kapiert mein Hirni wohl nicht, dass es ganz normal ist, mal viel zu reden und mal wenig. Mein Gehirn kennt nur zwei Möglichkeiten:
- Viel Reden -> Wir passen zusammen! ?
- Nicht viel Reden -> Wir passen nicht zusammen! ☹️
Wenn wir zum Beispiel in einem Restaurant essen gehen, auf das Essen warten und mal nichts zu sagen haben, habe ich immer gleich das Bild eines alten, unglücklichen Ehepaars im Kopf, das still im Restaurant nebeneinander sitzt und sich nichts mehr zu sagen hat… Ein Paar, das einfach nur noch zusammen ist, weil es eben jahrelang zusammen war, sich jedoch nicht mehr liebt, sich nicht mal sonderlich mag. Kennt ihr dieses Klischee?
Dann werde ich unruhig und sage „Reden wir irgendwaaas“ ? Und wenn wir dann noch immer kein Gesprächsthema finden, war der Restaurantbesuch ein Fail für mich.
Was ich kapieren muss
Dabei ist es völlig normal, dass man sich nicht nonstop etwas zu sagen hat! Dass man in einer Beziehung stetig zwischen viel Geplapper und Stille wechselt. Was ist denn schlimm daran, ab und an nichts zu sagen?
Ich sollte es viel lockerer sehen, mehr bei mir sein und nicht so unglaublich stark auf die andere Person fokussiert sein.
Bei mir sein ist ein gutes Stichwort: Letztens waren wir am See und J telefonierte die ganze Zeit mit seinem Vater. Ich saß daneben und fühlte mich völlig ruhig, weil ich ja wusste, J ist beschäftigt, also kann ich mich ganz „fallen lassen“ und einfach nur die Umgebung absorbieren.
Das hat mir wieder vor Augen geführt, wie sehr ich auf mein Gegenüber fokussiert bin. Wenn ich alleine unterwegs bin, kann ich die Natur genießen… Sobald jemand anderes dabei ist, ist mein Geist ein flatternder, verstörter Vogel, der die ganze Zeit darauf achten muss, was dieser andere tut und denken könnte.
Warum ist Stille so schlimm für mich? – Es ist wieder mal die Kindheit
So oft reicht die einfache Frage „Wie war das denn bei Ihnen in der Kindheit und Jugend?“ aus, um Licht ins Dunkel zu bringen. Ja, wie war das denn bei mir damals?
Vielleicht könnt ihr es euch schon denken. Es wurde über NICHTS geredet.
Kennt ihr die Szenen aus Full House, wo der Vater mit dem Kind redet, das Problem auf einmal gelöst ist und alle sich umarmen? ? So etwas war ein Traumszenario für mich. Über ein Problem reden? Was ist das? Und wieso sollte man es tun?!
In meiner Familie gab es kein Reden. Wenn geredet wurde, dann über belangloses Zeug oder Streitereien oder Sorgen. Beim Abendessen sagte mein Bruder immer, „am Tisch wird nicht geredet“. (……Fragt nicht.) Außerdem hatte er sich so sehr zurückgezogen, dass aus seinem Mund nicht mehr als ein Hallo und Tschüss herauskam.
Also ging die gemeinsame Familienzeit schweigend oder zischend vorüber.
Und Stille ist für mich ein Symbol dieser Zeit. Stille ist das Gegenteil von Geborgenheit, Liebe und Zusammenhalt. Stille ist Kälte. Stille ist der Untergang.
Ohje.
Ich muss Stille uminterpretieren. Ich glaube, das werde ich mit der Zeit können.
Allein über das alles, was ich gerade geschrieben habe, Bescheid zu wissen, tut gut. Denn dann kann ich mir nächstes Mal ins Gedächtnis rufen, dass es keinen Grund gibt, mich unwohl zu fühlen und unzufrieden zu sein. Dass Stille normal ist, sogar schön sein kann und dass man Stille auch zu zweit genießen kann… (…ist das so? 😀 )
// love, Cat
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Victoria
Ahhhhhh ich versteh dich schon wieder so gut! Mir ging es genau gleich mit meinem Freund. Ich dachte auch immer „Oh Gott wir haben uns nichts mehr zu sagen. Wie wird das weiter gehen?“ Mittlerweile sind wir 8 Jahre zusammen und ich habe es endlich akzeptieren können. Irgendwann einmal ist mir bewusst geworden welche Gehirnwäsche uns Hollywood und Co unterzogen hat. Wie du sagst: unglückliche Paare werden dargestellt indem sie sich nichts mehr zu sagen haben. Das übernimmt man dann und denkt, dass das ein eindeutiges Zeichen für das reale Leben ist. Da gibts noch soooo viele Sachen die wir meiner Meinung nach von Filmen und Medien übernehmen, die einfach unrealistisch sind.
Aber zu deiner Kindheit: Das klingt ehrlich schrecklich und irgendwie … emotionslos und kalt?! Seltsam, weil ich nehme dich genau gegenteilig war 🙂
Ich hasse übrigens Stille in meiner Therapie. Ich könnte da aus der Haut fahren ^^
Franzi
Habe bisher nur deinen Youtubekanal verfolgt bzw halt dich auf Youtube 😀 und stelle jetzt erst fest wie wundervoll dein Blog ist. Halt noch ausführlicher. Du bist so unendlich inspirierend mit deiner Ehrlichkeit und Offenheit, so viele Menschen kennen deine Probleme und teilen Sie – das ist dir durch Feedback bestimmt schon aufgefallen. Ich kann nur betonen wie bereichernd dein Internetauftritt ist, deine Worte, deine Bilder und deine Videos! <3 Ich möchte jetzt auch einen Blog anfangen weil ich mich so inspiriert fühle.
Mary
I love every single photo you post with your entries!
Katja
Hier drei eindrückliche Zitate für dich liebe Ingrid,
1. Ein gefährlicher Unruhestifter: die Angst vor der Stille.
2. Wir dürfen nicht verlernen auf die Stille zu hören, sonst sagt sie uns nichts mehr.
3. Die Stille stellt keine Fragen. aber sie kann uns auf alles eine Antwort geben.
(© Ernst Ferstl (*1955), österreichischer Lehrer, Dichter und Aphoristiker)
Herzliche Grüße, Katja