Ich habe eine weiche Decke auf das Fensterbrett gelegt, in der Hoffnung, mein Kätzchen würde das gemütlich finden. Gerade sitzt sie zum ersten Mal darauf und wäscht sich von oben bis unten. Ich dagegen habe mich noch nicht gewaschen. Ich sehe Stoppeln an meinen Beinen und das sieht überhaupt nicht schön aus. Es fühlt sich auch nicht schön an. Wie kann etwas, das jahrhundertelang ganz natürlich war, auf einmal zu etwas Abstoßendem werden, zu etwas, für das man gemobbt wird, wenn man es nicht entfernt. Obwohl ich das nicht verstehe, ist es dennoch in meinem Kopf verankert. Ich weiß noch genau, als ich ca. 12 oder 13 Jahre alt war und das Rasieren noch nicht in mein Leben getreten war.
Wir waren beim Volleyball-Training und nur ein Mädchen in unserem Alter hatte schon rasierte Beine. Ich schaute ihre an und dann meine. Ich hatte viele feine, dunkelblonde Härchen an meinen Unterschenkeln. Und wenn ich die Knieschoner nach oben zog, standen sie kurz hoch. Auf einmal fühlte ich mich wie ein Kind neben ihr. Ich merkte, dass sie irgendwie anders war als ich. Ihre Brüste bemerkte man schon viel eher als meine, Jungs redeten anders mit ihr als mit mir und sie wirkte erwachsener und cooler als ich. Selbstbewusster. Ihre rasierten Beine mussten also einen Zusammenhang damit haben.
Bis zu diesem Tag hatte ich schon viele Schauspielerinnen und Models gesehen, die perfekte Beine hatten. Aber nie kam mir die Idee, ich hätte mit solchen Beinen etwas zu tun. Ich war sportlich, schlank, blass – sehr blass – und dachte nicht an irgendwelche Beine und Haare. Aber auf einmal war das anders. Der Kampf um ein schönes Aussehen hatte begonnen.
Wenn ich jetzt zurückdenke, fällt mir auf, dass mich meine Mitmenschen am allermeisten beeinflusst haben. Ich kritisiere so häufig die Medien, die – heute extremer als früher – ein Bild einer perfekten, braungebrannten, schlanken, glatten Frau mit großen Brüsten propagieren. Aber eigentlich waren es bei mir nicht die Medien, die dazu geführt haben, dass ich einen schlankeren Bauch wollte. Und schönere Beine. Es lag an meiner Klassenkameradin, deren Bauch so flach aussah und die so beliebt bei allen Jungs war. Die schon einen Freund hatte, während andere noch mit Puppen spielten. Und wenn die Hormone anfangen, ihre Spielchen mit uns zu spielen, ist es auf einmal sehr wichtig, wer von Jungs beachtet wird und wer nicht.
Ich weiß noch genau wie ich mit 13 das erste mal Interesse an jemandem hatte und hoffte, er würde mich bemerken. Er bemerkte mich auch, aber nur als eine Freundin. Hätte ich besser ausgesehen, hätte er sich dann verliebt? Er verliebte sich nämlich in die mit dem flachen Bauch. Den auffälligeren Brüsten und dem hübscheren Gesicht. Wenn man 13 ist, ist sowas wie ein Schlag ins Gesicht. Ein Schlag gegen das Selbstbewusstsein. Ah okay, ich gehöre also nicht zu den Mädchen, in die sich die Jungs verlieben. War meine damals traurige Erkenntnis.
Aber die Beeinflussung meines Selbstbildes fing nicht erst in der Pubertät an. In der Grundschule war ich zwar sehr beliebt und gehörte zu den Coolen. Trotzdem ärgerten mich alle mit dem Spitznamen „Käääse“. Weil ich so blass (gelb?!) war wie Käääse. Es verletzte mich zwar nicht, weil es zum Glück meine Freunde waren, die das sagten und sie meinten es wirklich nicht böse. Sie waren immer total lieb zu mir. Aber in mir formte sich trotzdem die Gewissheit: Ich bin zu blass. Ich bin sogar so blass, dass es ALLEN auffällt und es JEDEN TAG angesprochen werden muss.
Und was machte das mit mir? Als ich auf der neuen Schule war wollte ich nicht, dass die anderen merkten, dass ich der blasseste Mensch auf Erden war. Im Sommer zog ich kaum kurze Hosen an, Spaghetti-Träger-Tops sowieso nicht und oft fiel es mir schwer, ein langärmliges Oberteil auszuziehen, wenn es zu warm wurde.
Ich wollte meine Haut verstecken. Meine wunderschöne Haut, die Gott (falls du an Gott glaubst, ansonsten war es die Evolution) geschaffen hat. Meine Haut, das natürlichste der Welt. Diese Gehirnwäsche, deren Wurzeln in der Grundschule liegt, ist bis heute wirksam: Als Studentin gab ich mein weniges Geld für Sonnenstudio-Besuche aus, damit ich mich im Sommer nicht schämen musste. Und sogar heute noch überlege ich, wie schön es wäre, braun zu sein, wenn ich an einem Sonnenstudio vorbeifahre.
Dann gab es da noch die Stars.. Britney Spears, Christina Aguilera.. und wen noch? Damals so wichtig, heute so unbedeutend für uns alle.
Was macht Britney so sexy?
Keine Ahnung!
Auf jeden Fall hatte ICH nichts davon:
Aber ich wollte doch so gerne.
Obwohl ich schon jede Woche Volleyball und Tennis spielte, fing ich an, in meinem Zimmer Seil zu hüpfen, um schlanker zu werden. Um so einen schönen flachen Bauch zu kriegen.
Ich weiß nicht mehr wie alt ich da war, ich weiß nur, dass ich das überhaupt nicht NÖTIG HATTE!!! Und es keinen Spaß machte!!! Wieso tat ich mir das dann an?! Auch den Schwimmunterricht schwänzte ich jahrelang (fragt nicht wie das funktionierte), weil ich mich so für meinen pubertären komischen Körper schämte. Dabei war er gar nicht komisch. Ich beging einfach nur den Fehler, ihn mit anders aussehenden Körpern zu vergleichen. Und diese wurden mir ununterbrochen unter die Nase gehalten.
Wie kommt man also raus aus diesem Körperbild-Problem?
Wir müssen „einfach“ unser Denken verändern. Wir müssen uns selbst lieben lernen und das auch dann tun, wenn andere es nicht können (Beispiel „erste Verliebtheit wird nicht erwidert“). Wir müssen unsere Einzigartigkeit und unseren Wert erkennen und verstehen, dass dies nichts mit rasierten Beinen, einer perfekten Bräune oder einem flachen Bauch zu tun hat. Wir müssen aufhören, uns mit anderen zu vergleichen. Und ganz besonders mit Stars. Jeder Mensch ist anders. Und wir können und müssen nicht wie Stars aussehen. Haben wir etwa das Geld, unsere Haare von irgendwelchen Star-Friseuren richten zu lassen? Für einen personal trainer, der uns jeden Tag motiviert und antreibt? Bekommen wir Millionen dafür, gut und beneidenswert auszusehen?
Wir müssen unsere Perspektive ändern.
Wieso ist uns denn unser Aussehen so verdammt wichtig.
Wieso?
Wieso???
Es gibt doch so viel anderes auf der Welt. Geh mal einen Schritt zurück aus deiner kleinen, beengten Welt und sieh dir das Ganze an. Sieh dir an was für ein Wunder wir alle sind. Die ganze Erde mit allen Lebewesen darauf. Wir atmen die Luft ein und verwandeln sie in Kohlendioxid. Unsere Augen vollbringen Dinge, die keine Kamera der Welt schaffen kann. Unsere Hände erschaffen die schönsten Kunstwerke, spielen die schönsten Klavierstücke und sind einfach unglaublich.
Vielleicht sollten wir uns das alles mal mehr vor Augen halten.
In Zukunft werde ich noch häufiger über das Thema „Körperbild“ schreiben, da es einfach ein Teil der Selbstliebe ist. Man soll nicht nur sein Inneres lieben, sondern auch sein Äußeres. Beides ist wichtig für ein glückliches Leben. Ich hoffe sehr, dass ihr in diesem Schönheits- und Schlankheitswahn nicht so sehr gefangen seid, wie ich es damals war.
love // Ingrid Cat
puppenkopf
Ein wunderschöner verfassten Text. Es liest sich sehr angenehm und regt zum Nachdenken an.
Die püpertären Probleme, die du erläuterst, hat zum größten Teil jeder durch.*leider* Mir erging es ähnlich.Rückblickend frage ich mich auch, wieso hast du dich von anderen Menschen so beeinflussen lassen? Wieso wird man auf das Äußere beschränkt? Ich weiß nicht wieso dieses Phänomen existiert. Aber es existiert. Meine Ansicht hat sich mit zunehmenden Alter geändert und ich höre nun mehr auf mich selbst. (Thema Selbstliebe) Dieser Lerneffekt ist glaube ich ganz normal und besonders wichtig. Als Jugendlicher geht es vielmehr darum akzeptiert zu werden und aus einer Gruppe nicht ausgeschlossen zu werden. Dafür probiere man Dinge aus, testet Situationen und Grenzen. Wenn man Erwachsen sieht man viele Dinge anders und setzt wichtige Prioritäten.
Ich freue mich, dass ich durch deinen Text, nochmal über dieses Thema nachdenken konnte. Ich bin fasziniert vom menschlichen Verhalten. Darüber kann man stundenlang nachdenken und nach dem wieso, weshalb, warum forschen.
Ich wünsche dir einen tollen Tag
Liebste Grüße
puppenkopf
Ingrid Cat
Vielen Dank für deinen Kommentar 🙂 Die ganze Schul-Situation hat denke ich auch einen negativen Effekt.. Wie du schreibst, weil man dazugehören möchte.. und weil es immer Gruppen gibt, die Coolen und die Uncoolen.. und wer möchte schon zu den Uncoolen gehören? Es ist wirklich schön, erwachsen zu werden. Man sagt immer, die Schulzeit ist die schönste Zeit, aber bei mir was definitiv nicht so ^^
Ich bin auch fasziniert vom menschlichen Verhalten 🙂 Hoffentlich können wir noch in Zukunft viel darüber philosophieren <3
Nadja
Liebe Ingrid,
ein sehr schön geschriebener Text über ein unglaublich wichtiges Thema! Danke, das du so ehrlich warst. Das war der ehrlichste Beitrag den ich seit langem gelesen habe und er regt wirklich zum Nachdenken an.
In meiner Schulzeit ging es mir ganz genauso wie dir und ich habe meine Schulzeit auch nicht unbedingt schön in Erinnerung. Mehr als Zeit voller Enttäuschungen, Hoffnungen, Verwirrungen und der Suche nach der Liebe, die man dann doch nicht fand. Zumindest nicht die, die man gesucht hat, in der Anerkennung der anderen Teenager. Und auch wenn ich mittlerweile zwanzig Jahre alt bin, und es eigentlich besser wissen sollte, lasse ich mich immer noch zu sehr von der Meinung anderer definieren. Tja die schüchterne Selbstliebe…kein leichter Weg!
Liebe Grüße,
Nadja
von: https://freiheitsfluestern.wordpress.com/
PS: Ich finde dein BLogdesign total klasse 😉
Ingrid Cat
Liebe Nadja! Das freut mich dass du mein Blogdesign magst, mein Freund meinte nämlich das wäre irgendwie seltsam ^^ Aber mir gefällt es sehr.
Ja wirklich, die ganzen Irrungen und Wirrungen der Pubertät :-/ Lass uns froh sein, dass wir das Schlimmste hinter uns haben 😀
Sarah
Hey Ingrid,
ich bin auch blass und finde es toll.
Jedes Mal wenn ich in Asien bin staunen die Leute über meine
Haut und oft habe ich Komplimente für meine weißen Arme bekommen. 😀
Dort kaufen sich Frauen und Männer Shampoos, Cremes, etc., welche die Haut aufhellen
und in Europa geben Leute unnötig Geld aus für Sonnenstudios. Total bescheuert!
Ich finde jede Hautfarbe schön und jeder sollte so bleiben wie er ist und nichts an der
Farbe der Haut ändern.
Liebe Grüße,
Sarah
Ingrid Cat
Hey Sarah, lieb dass du mir das schreibst! Es ist wirklich so, dass man fast alles an einem selbst auch lieben könnte, unter anderen Umständen.. Das wusste ich gar nicht! Wirklich total verrückt, dass die Leute dort blasser sein wollen und die Leute hier brauner.. :-/
Dein letzter Satz ist ganz ganz schön und ich glaube ich muss versuchen, das mal zu verinnerlichen! In meinem Kopf ist es wirklich noch so, dass ich meine Blässe nicht mag und mir wünsche, brauner zu sein :-/
Viele liebe Grüße zurück!
Laura
Hey indrid,
Ich weiß mein Kommentar kommt eventuell ein Jährchen zu spät/verzögert, aber ich wollte auch einfachmal was zu deinem tollen Text schreiben 🙂
Ich finde es sehr faszinierend, dass man durch so einfache Geschehnisse, wie eine nicht erwiderte Liebe so eine große Unsicherheit ebtstehen kann. Diese kleinen ägereien und doofen Spitznamen hatte ich auch (ca 7. Klasse/13 Jahre) Eigentlich war es nur so ein freundliches Ärgern, aber das hat bei mir dann irgendwie erste diese typischen Fragen aufgeworfen… Dieses „Bin ich schön genug“, „bin ich freundlich genug“ usw. Vielleicht war das auch ein Grund warum ich heute mit meiner Psyche zu kämfen habe, und das obwohl nie jemand was böses wollte und ich viel zu schüchtern war (und wahrscheinlich immer noch bin) um etwas zu sagen.
Ich glaube bei jedem wir früher oder später ein Punkt eintreffen bei dem man plötzlich mit einer Bewertung konfrontiert wird, die man nie wollte.
Ich wünsche dir noch einen schönen Abend 🙂
Alles Liebe, Laura