Naja, hab ich wirklich was daraus gelernt? Ich muss es mir mit einem fetten Edding hinter die Ohren schreiben, damit ich es wirklich lerne. Dass zu viel Stress Gift für mich ist.
Abitur
Während des Gymnasiums hatte ich (von der 9.-13. Klasse) Depressionen, Selbstmordgedanken und einen so starken psychischen Schmerz, dass er physisch fühlbar war. Dort auf meiner Brust. Ich hatte viele persönliche Probleme, aber der Stress, den ich mir selbst gemacht habe, hat alles auf den Gipfel getrieben.
Ich musste einen Einser-Abschluss schaffen. Nur so konnte ich Psychologie studieren. Ich habe nur gelernt und gelernt und gelernt und mir selbst meine Jugend kaputt gemacht. (Achja, danke Schicksal, dass alles umsonst war und dass ich nur in Wien genommen wurde, wo es keinen Numerus Clausus gab. Und danke dass ich erst nach meinem Abitur davon erfuhr.)
Ich weiß noch genau wie es sich angefühlt hat, jedes mal in der Mittagschule, wenn ich wusste, ich komme gegen Abend nach Hause und werde noch bis 22 oder 0 Uhr lernen (je nachdem, ob Arbeiten bevorstanden oder nicht). Jedes mal, wenn ich eigentlich einen gemütlichen Fernsehabend mit meinen Eltern verbringen wollte und stattdessen in die Hefte und Bücher glotzte, einfach nicht aufhören konnte, weil mir mein Kopf sagte: Du kannst noch dies nicht und das nicht und du wirst eine schlechte Note bekommen wenn du nicht WEITERLEEEERNST!!! Es hat sich angefühlt als würde ich erdrückt werden. Als wäre ich tief unter der Erde in einem Sarg gefangen, der immer enger wird, gegen meine Brust drückt und mich irgendwann zerquetscht. Und ich war einfach außer Stande, mich zu befreien.
Dann kam der Schulabschluss, eine Neuseelandreise und der Sarg wurde endlich geöffnet. Der Schmerz war weg. Der Druck war weg. Und ich war frei.
Bachelor-Studium Psychologie
Doch aus Fehlern lernen ist wohl nicht so mein Ding. Denn was mache ich einige Jahre später? Genau dieselbe Scheisse. Denn als ich von Wien nach Tübingen wechselte (innerhalb des Studiums), hatte mich der Leistungsdruck ganz schnell wieder in seinen Fängen.
Ich musste einen Einser-Abschluss schaffen. Nur so konnte ich einen Master-Platz bekommen. Ich habe nur gelernt und gelernt und gelernt und mir selbst meine Studienzeit kaputt gemacht.
Diesmal war es aber nicht wirklich meine eigene Schuld: Tatsächlich bekamen nur diejenigen, die einen besseren Durchschnitt als 2,2 hatten, einen Masterplatz! Und vielleicht wisst ihr, dass man mit dem Psychologie-Bachelor allein so gut wie NICHTS anfangen kann? Ja so ist es. Und so riss ich mir den Arsch auf, bei Präsentationen, Prüfungen, beim Verfassen von allen möglichen Texten. Und je mehr Einser ich bekam, desto leerer wurde ich.
Master-Studium Psychologie
Ihr könnt es euch bestimmt schon denken, oder?
Ich musste einen Einser-Abschluss schaffen. Nur so konnte ich (in meiner Vorstellung) einen Ausbildungs-Platz zur Psychologischen Psychotherapeutin bekommen. Ich habe nur gelernt und gelernt und gelernt und MICH SELBST kaputt gemacht.
Glückwunsch Ingrid. Du hast alles erreicht was du erreichen wolltest. Abitur, Bachelor und Master mit Einser-Abschluss. Und als Abschlussgeschenk gab es noch eine Portion Depressionen mit Burnout-Topping.
Das Schlimme ist, dass sich solche Erkrankungen so langsam entwickeln, dass man es überhaupt nicht realisiert. Dass man so lange denkt „es geht noch“ oder „ich muss weitermachen“ bis man am Boden liegt und keinen Schritt mehr gehen kann. Dabei hätte ich einfach eine Pause machen können. Während des Masters hatten wir absolut keinen Zeitdruck. Ich hätte mir ein halbes Jahr Ruhe gönnen können oder sogar ein Jahr lang. Das wäre schon sinnvoll gewesen, besonders weil ich gerade eine schlimme Trennung hinter mir hatte. Aber nein, Ingrid MUUUUSSSSSS in der Regelstudienzeit fertig werden. Sonst geht die Welt unter.
Und was mache ich Volltrottel noch mitten in meiner Masterarbeit? Den Umzug nach Hamburg vorbereiten! Also mal ehrlich, wie blöd war ich eigentlich?!?!?!?!?! Ich rief bei tausenden Vermietern an, schrieb „Bewerbungen“ und organisierte eine Hamburg-Reise um die ganzen Wohnungen zu besichtigen.
Mehrere Wochen, Monate lang war ich so am Ende, dass ich bei der kleinsten Kleinigkeit (z.B. wenn der Abwasch gemacht werden musste) „zusammenbrach“. Das bedeutet, ich lag auf dem Bett und konnte mich nicht mehr bewegen. Da war keine Energie mehr in mir. Ich konnte nichts mehr erledigen, außer das aller Nötigste. Wenn ich nichts mehr zu essen da hatte, musste ich mich regelrecht dazu zwingen einkaufen zu gehen und verschob es so lange wie möglich. Ich kochte auch nicht mehr, was zu einem richtigen Teufelskreis werden kann, da man durch schlechte Ernährung noch weniger Energie hat.
Und dann war es endlich soweit: Die Masterarbeit war abgegeben, das Studium beendet, der Umzug lag hinter uns. Und ich war nur noch ein Häufchen Elend.
Mein neues Leben
Das war im Oktober 2015. Bald ist ein Jahr vergangen und in der Zwischenzeit ist viel passiert. Ich hatte einen Job und habe ihn gekündigt. Seitdem bin ich arbeitslos. Ich nehme Antidepressiva, die mir sehr helfen. Ich habe eine tolle Therapeutin gefunden. Letzte Woche war ich bei einer psychologischen Untersuchung der Arbeitsagentur, in der festgestellt werden sollte, ob ich denn für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehe. Dieses Gespräch hat mir die Augen geöffnet und mich dazu gebracht, diesen Text zu schreiben. Er ist nämlich hauptsächlich für mich, damit ich endlich den roten Faden erkenne, der sich durch mein ganzes Leben zieht: Leistung, Druck, Stress, ichmuss ichmuss ichmuss. Und damit ich endlich, endlich etwas aus der ganzen Geschichte lerne:
Ich MUSS gar nichts tun. Ich muss keine Einser haben. Ich muss keine Weiterbildung oder Ausbildung machen. Ich muss nicht arbeiten. Ich muss kein „normales“ Leben führen. Ich muss keine Erwartungen erfüllen. Nichts leisten. Ich muss niemanden stolz machen.
Ich existiere nicht, um irgendwas zu erfüllen.
Ich existiere nur, um glücklich zu sein.
Ich kann derzeit kein geregeltes Leben führen, da ich irgendwie noch immer krank bin. Die Psychologin hat das – Gott sei Dank – erkannt und mich für 6 Monate „krankgeschrieben“. Ich habe ihr auch meine ganze Idee mit dem Blog erzählt und sie meinte zum Schluss, ich solle aufpassen, nicht wieder in mein altes Muster (mir selbst Druck machen, zuviel von mir erwarten) abzurutschen. Dass ich jetzt wirklich eine Auszeit brauche und nicht noch mehr Stress. Als sie das alles sagte, kamen mir Tränen in die Augen. Ich fühlte mich so verstanden und… ich realisierte: Es ist schon passiert. Der Blog ist nicht mehr nur Spaß, er ist Druck, Erwartung, das gute alte „ichmuss ichmuss ichmuss“.
Kann ich denn ohne Druck nicht existieren?
Die Psychologin hat mir dann den Rat auf den Weg gegeben, unbedingt mit meiner Therapeutin an den Hintergründen zu arbeiten. Denn es ist eine Sache zu wissen, dass man sich zuviel Druck gemacht hat, aber eine andere, damit aufzuhören. Denn die Ursachen für meinen eigenen Leistungsdruck, für meine Erwartungen und „Zwänge“ sind noch immer da:
– Nämlich das Gefühl, nichts wert zu sein, wenn ich nicht alles perfekt mache.
– Die Angst, nichts zu erreichen und ein gescheiterter Mensch zu sein, ein Versager.
– Befürchtungen über Befürchtungen: Was wenn ich mit einem schlechten Durchschnitt keinen Job bekomme, was wenn ich keinen Ausbildungsplatz bekomme, alle anderen sind doch so gut, was wenn ich eine Lücke im Lebenslauf habe und mich dann niemand mehr einstellen will, was wenn was wenn was wenn.
– Die ständige Sorge, alles könnte schief laufen und ich müsse ALLLLLLES geben um glücklich zu werden.
– Das Gefühl, andere und mich selbst mit einer perfekten Leistung stolz machen zu müssen.
– Mein eigenes Verbot, durchzuatmen und ein chilliges Leben zu führen.
– Mein Ehrgeiz bzw. mein Drang, bestimmte Dinge zu schaffen oder perfekt zu machen.
Diese Dinge sind so tief in mir verwurzelt… Aber ich werde daran arbeiten. Ich will mich unbedingt ändern, weil ich mich sonst immer wieder selbst kaputt machen werde.
Miriam
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du langsam lernst, wieder Leichtigkeit in dein Leben zu bringen. Und wünsche Dir, dass Du Dich besser fühlen wirst – ohne Druck, irgendwann.
Ingrid Cat
Vielen Dank für deinen lieben Kommentar! <3
Italiano
Hey,
Immerhin hat es mich „erst“ nach dem Abitur erwischt. Hab ein MINT-Fach studiert und hatte im Studium auch eine harte Trennung an der ich teilweise immer noch knabbere. Jetzt nach dem Studium fühle ich mich total erledigt. Ständig krank, keine richtige Lebensfreude mehr (keine Selbstmord-Gedanken) aber alles fällt so schwer. Möchte eigentlich nur noch schlafen und meine Ruhe haben. Andererseits muss ich arbeiten um meine Brötchen zu verdienen.
Ingrid Cat
Das ist so schlimm, wie kaputt und ausgelaugt ein Studium machen kann.. Dieses „alles fällt so schwer“ ist die perfekte Beschreibung. Es tut mir leid dass es dir so geht :((
Kein gewöhnlicher Mensch
Wow dein Blog ist echt toll. Und ich hoffe dir wird es bald wieder gut gehen. 🙂
Ich kann es ein bisschen nachvollziehen. Ich bin zurzeit 19, bin aber mit 18 ausgezogen in eine viel zu überteuerte Wohnung. Hatte aber dort noch meine eigen Firma. Doch meine Idee von der Firma ist leider denn Bach runtergegangen. Habe die Miete nicht mehr zahlen können und musste in eine kleinere Wohnung ziehen. Bis dato schaffe ich es nicht eine Bewerbung zu schreiben, da ich so dermaßen ausgelaugt bin, dass ich jeden Tag nur noch schlafen will. Ich war in meiner Lehrzeit ein sehr ehrgeiziger Mensch und habe nächtelang durchgearbeitet, deswegen gründete ich schon so früh eine Firma. Aber zurzeit geht es mir echt schlecht. Allein der Gedanke jetzt wieder für jemanden anderen zu arbeiten und das 8 Stunden am Tag macht mich fertig. Ich war schon generell eine andere Person Mensch, da ich nie verstanden habe wie man den Rest des Lebens arbeiten gehen kann und sich immer nur auf das Wochenende freut. Videos produzieren und zu Reisen waren schon immer meine Leidenschaft. Habe vor kurzem auch mit Youtube angefangen und träume davon, dass ich eines Tages davon Leben kann. Ich bin ein bisschen vom Thema abgeschweift, aber ich glaube mit dir kann man echt gut reden :).
Liebe Grüße
Ingrid Cat
Hey, danke für deinen Kommentar! Das was du beschreibst, hört sich schon sehr nach einer Art Burnout an. Dass du so ausgelaugt warst/bist, nur schlafen willst usw. Genauso war es bei mir nach meinem Studium. Ich hoffe du nimmst dir die Zeit, um wieder Energie aufzutanken und dass du dich nicht zu sehr unter Druck setzt! Ich glaube, Menschen wie du und ich, die so ehrgeizig sind und ganz bestimmte Ziele haben, neigen dazu, sich kaputt zu machen um ihre Ziele zu erreichen.
Ich hab dich mal auf youtube abonniert 🙂 Wenn Videos & Reisen deine Leidenschaft sind, dann wünsche ich dir ganz arg, dass du das zum Beruf machen kannst und dass es mit youtube klappt! Hab Geduld und gib nicht auf <3
Malene
Liebe Ingrid! Danke …. danke für deine Ehrlichkeit und Offenheit! Ich habe deinen Youtube wegen das Bullet Journal gefunden und bin hängen geblieben. Ich habe gerade deinen Blog-Eintrag gelesen und sitze jetzt mit Tränen in den Augen.
Du beschreibst mein Leben…. Ich bin zwar älter (43) habe aber auch einen Bachelor (Lehrer) hinter mir (2014) und eine Trennung in 2010. Ich bin im September 2016 wegen Gehirnanhangsdrüsetumor operiert worden und habe Trigeminus Neuralgie… jetzt bin ich von meiner Arbeit wegen zu viele Krakentage entlassen worden (3 Monate Rekreation wegen der Operation) …. Ich sitzt oft nur und kann nichts machen… Die Gedanken arbeiten auf Hochdruck und wie ein Blitz aus einem klarem Himmel kann ich anfangen zu weinen…. Ich habe gerade eine Psykologin gefunden und hoffentlich will meine Ärztin mich krankmelden – wenigstens während meine Entlassungsperiode so dass ich wieder leben kann. Viele Grüsse aus Dänemark <3
Ingrid Cat
ohhh du liebe <3
Dass du mit den Tränen in den Augen da gesessen bist, berührt mich sehr <3
Ich hoffe ganz arg für dich, dass die Psychologin dir helfen kann und auch, dass sie dich krankschreibt. Es ist sooo wichtig, dass man sich von Ärzten und Therapeuten unterstützen lässt und die Zeit bekommt, die man braucht, um gesund zu werden.
Du bist nicht allein, liebe Malene <3 Ich drück dich!
Jolisa
Liebe Ingrid, mir geht es haargenau so wie dir, nur dass ich immer noch mittendrin bin diese blöden alten Denkmuster abzulegen. Leider bin ich auch so perfektionistisch u will allen immer alles echt machen, Bin so ausgelaugt, kann kaum noch spazieren gehen und schleppe mich trotzdem in die Arbeit, weil ich sonst ein schlechtes Gewissen habe ( bin Lehrerin) . Ich sehne mich auch so sehr nach einer langen Auszeit.
Habe die aber eh schon eine Mail geschrieben.
Alles Liebe und weiter so 🙂
Alexander
Hallo Du 🙋🏻♂️
Bist du noch aktiv. Ich habe einige Fragen und würde mich gerne mit dir austauschen. Bin auch in einer sehr brenzligen Situation. Mein Leben beschreibt sich wie deins, nur mit eigenen individuellen Geschichten.
Ich freue mich auf deine Antwort.
Alex